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Heinrich Tischner Fehlheimer Straße 63 64625 Bensheim |
EtymologieBuchnhd. 'gebundenes Schriftwerk' |
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Grimm 2,467;480 vermutet, dass
"unsere Vorfahren" schon vor der Christianisierung auf Steine und "büchene
Bretter" oder Stäbe schrieben. Er stellt sich das so vor, dass sie die
"Buchstaben" hineinritzten und später malten. Nach Tacitus, Germania 10, benutzten die Germanen zum Wahrsagen kleingeschnittene Zweige eines "fruchttragenden Baum", die sie mit gewissen Zeichen markierten und auf ein Tuch warfen. Dann nahmen sie willkürlich drei davon heraus und versuchten aus diesen Zeichen die Zukunft zu deuten. Man hat später mit dieser Stelle das Wort Buchstaben erklären wollen: es seien "Buchenstäbchen" gewesen, in die man die Zeichen geritzt habe. Nun sollte man nach Tacitus eher an einen Obstbaum als eine eine Buche denken, und die aus einem Zweig geschnittenen Holzstückchen wird man schwerlich als "Stäbe" bezeichnen können. Neuere Autoren (Kluge ²² 110 ; Etym. Wörterbuch des Deutschen I 225) bringen Buch nicht mit dem Baum, sondern mit japhet. *bʰagʰ- 'zuteilen' in Verbindung: germ. *bōk- habe wie aind. bhāga- 'Anteil, Los' bedeutet und sei nach dem von Tacitus erwähnten Brauch auf die Schriftzeichen übertragen worden.
Nun wurde mit Buch ja immer das antike
Schriftwerk, mit Buchstaben nicht die Runen, sondern das antike
Alphabet bezeichnet.
In der gotischen Bibel steht also der
Plural normal für 'Buchstaben, Schrift, Schriftstück, Bibel, Bildung'; der
Singular erscheint nur als Lehnübersetzung des griechischen Singular, der
wörtlich 'einzelner Buchstabe', im Zusammenhang 'Altes Testament' bedeutet,
an zwei Stellen auch da, wo im Griechischen der Singular
βίβλος bíblos,
ἐπιστολή
epistolê steht. Für 'schreiben' hat die gotische Bibel meljan, das unserem malen entspricht. Ulfila denkt also an Tinte auf Pergament und nicht an eingeritzte Zeichen in Holz. Derselbe Gedanke liegt finn. kirja 'Buch', kirje 'Brief' zu Grunde, abgeleitet von kirjo 'bunt'
Wrītan 'reißen' (> engl.
write 'schreiben',
anord. rita 'schreiben':
eigentlich Fachausdruck für die Runen; im Deutschen ist
reißen, Riss heute Fachausdruck fürs
technische Zeichnen. Dieses Wort benutzt Ulfila überhaupt nicht, dagegen
einmal (Luk 16,17) writs = κεραία
keraía 'Strich,
Teil eines Buchstabens' (ursprünglich wohl 'einer Rune'). Für 'lesen' steht got.
(us)siggwan, eigentlich '(aus)singen, laut
rezitieren', und anakunnan (bedeutet auch 'anerkennen'). Dagegen ist
lisan 'aufsammeln', während deutsch
lesen, anord. lesa auch
'Geschriebenes verstehen' bedeutet. Dies könnte man auch auf die
Wahrsage-Runen beziehen, die ja wieder eingesammelt und gedeutet werden
mussten, ist aber wohl eher eine Lehnübersetzung aus dem Lateinischen, wo
legere sowohl 'aufsammeln' wie 'Geschriebenes erkennen' bedeuten kann. Es wäre denkbar, dass die Goten ihr Wort bokos an die anderen Germanen weitergeben haben. Außer in Deutschland ist in allen alten germanischen Sprachen das Wort weiblich, lautet aber bōk, buoh und nicht bōka, buohha, womit der Baum bezeichnet wurde. Die Buche war den Goten unbekannt, daher gab es keine Verwechslung. Wenn es die Goten waren, die das Wort boka, bokos prägten, konnten sie es also nicht als 'Schreibtafel aus Buchenholz' oder 'Zeichen auf Buchenholz' verstehen. Sie könnten aber in ihrer südrussischen Heimat das iranische Wort baga- 'Anteil, Los' kennengelernt und auf ihre Runen angewandt haben. Tatsächlich haben die Goten einige Schriftzeichen ihrer Bibel den Runen entlehnt.
Nun bedeutet aber west- und ngerm.
bōk nicht 'Buchstabe', sondern
'Schriftstück'. Die Goten könnten dieses Wort also auch von ihren westlichen
Nachbarn übernommen haben. Dann spricht nichts dagegen, wirklich an etwas zu
denken, was auf Buchenholz geschrieben ist. Denn in Deutschland gibt es ja
Buchen. Die beschriebenen Holztafeln haben die Germanen wohl früh bei den
Römern gesehen und sie metonym nach dem Holz benannt. Vgl. ahd.
ask
'Esche, Speer' und linta 'Linde, Schild', ähnlich dann
bōka
'römische Schrifttafel samt dem, was draufsteht'. Da die Germanen diese
Tafeln für den Eigengebrauch weder schrieben noch lasen, brauchten sie an einer genaueren
Differenzierung nicht interessiert zu sein. Und wenn sie in römischen
Diensten damit zu tun hatten, schrieben und lasen sie Lateinisch. Das altgermanische Schriftzeichen nannte schon Venantius Fortunatus im 5" runa. Dieses Wort bedeutet auch 'Geheimnis'. Es lässt sich als 'Rätselhaftes, Forschungsgegenstand' verbinden mit anord. rýna 'deuten, forschen', griech. ἐρευνᾶν ereunân 'forschen'. Mit Stab (aengl. stæf, anord. stafr, got. stafs bezeichnete man ursprünglich wohl den senkrechten Strich der Runenzeichen. Der Querstrich hieß wohl Ritz (got. writs). Buchstaben sind also "Stäbe", die ins Buch gemalt sind, keine Buchenstäbe, auf denen Runen geritzt waren, à la Tacitus. Diese Holzstückchen heißen auf Anord. rúnakefli (kefli 'rundes Holzstück'). |
Schrift: ARIAL UNICODE MS |
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Sprachecke 13.02.2007 | 15.05.2012 | 07.05.2013 |
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Datum: 2005 Aktuell: 10.02.2019 |