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Heinrich Tischner Fehlheimer Straße 63 64625 Bensheim |
Kreuz und querSprachecke in den Echo-Zeitungen |
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Von Allertshofen ging noch in den 60er-Jahren ein Kirchweg geradewegs durch die Felder zum Gotteshaus nach Neunkirchen. Normalerweise darf man ja nicht querfeldein oder querbeet über die Äcker gehen, weil das den Pflanzen schadet, aus denen unsre Lebensmittel gemacht werden. In diesem Fall hatten die Dorfbewohner und natürlich auch die Landwirte das gemeinsame Interesse, beim Kirchgang nicht zu viel Zeit zu verlieren. Man musste dabei aber auf dem Trampelpfad bleiben und durfte nicht "kreuz und quer"[1] hin und her laufen. Quer ist seitlich zur Blickrichtung. Unser Weg "kreuzt" sich mit dem Querweg, auf dem man nach links oder nach rechts abbiegen kann. "Kreuz und quer" meint also 'mal geradeaus, mal zur Seite', im Zickzack, allgemein 'ziellos hin und her'. "Kreuz und quer" ist eine Zwillingsformel, bei der kreuz nur ein anderes Wort für quer ist. Wir haben es nicht gern, wenn uns jemand "in die Quere kommt", so dass wir unsern Weg nicht fortsetzen können - wörtlich vom Verkehr und übertragen auf andere Situationen. Wer andere behindert, ist ein Quertreiber. Dwarsdryver nannte man im 18. Jahrhundert in Hamburg einen Steuermann, der nicht aufpasste, sodass sich das Schiff quer zur Fahrtrichtung stellte und andere behinderte, im übertragenen Sinn auch einen Menschen, "der aus Dummheit oder Eigensinn sich selbst und anderen zuwider handelt."[2] Quertreiber stören durch ihr Tun und Lassen. Es gibt auch Querdenker, die sich nicht der herrschenden Meinung fügen und geradheraus sagen, was ihnen durch den Kopf geht. Im negativen Sinn gehen sie anderen auf die Nerven mit ihren abwegigen Ideen. Im positiven können sie "um die Ecke denken" und so Lösungen finden, auf die man nicht kommt, wenn man bloß dem einmal eingeschlagenen Weg folgt. Quer, oder besser: mehrdimensional denken, das kennen wir vom Kreuzworträtsel, Schach und Zauberwürfel. Ein bisschen um die Ecke denken müssen wir auch, wenn es darum geht, woher das Wort quer kommt. Der erste Schritt ist nicht schwer: wie bei hessisch Quetschen und hochdeutsch Zwetschgen[3] ist qu eine Neuerung, das ältere Wort war zwerch, wie bei Zwerchfell 'Scheidewand zwischen Brust- und Bauchhöhle'. Die Germanen sagten thwer-.[4] Von da aus lässt sich auf ein indogermanisches tver- schließen, das man in einem Wort für 'drehen' glaubte gefunden zu haben. Das ist der kürzeste Gedankenweg. Aber mit diesem 'Drehen' war rotieren gemeint, wie beim Quirl, nicht nach der Seite abbiegen. Quer ist doch eher eine Sperre, die uns am Weitergehen hindert. Ein Blick um die Ecke zeigt: Es gibt noch ein zweites tver-, das 'Flechtwerk' bezeichnete (litauisch tvorà 'Zaun'). Der Zaun versperrt uns den Weg, so dass wir abbiegen müssen.[5] |
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[2] Michael Richey, Idioticon Hamburgense (1755) 49 |
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Sprachecke 15.04.2014 |
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Datum: 11.03.2014 Aktuell: 09.02.2019 |