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Was ist Geist? |
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"Geist' und "Seele" werden hier gleichbedeutend gebraucht. I. Hypothesen1. Herkömmlicha) animistischGeist ist eine Art
Substanz oder Energie, die die gesamte Welt durchdringt und auch in
anorganischen Wesen enthalten ist. b) spiritistisch(die klassische
Vorstellung): Geist ist eine Art unsichtbarer Mensch mit einem
"feinstofflichen" Körper (früher redete man von Äther).
Er Überdauert den Tod und kann als Totengeist mit den Lebendigen in Kontakt
treten. Das Medium vermittelt den Kontakt. c) dynamistischGeist
(religionswissenschaftlich: Mana) ist eine Art
Kraft oder Fähigkeit, die dem Menschen innewohnt. Nach moderner
dynamistischer Auffassung sind "Geister" Projektionen unsrer Seele, in die
Außenwelt hineinverlagerte innere Vorgänge. Parapsychologische Erscheinungen
werden nach dieser Hypothese nicht als Äußerungen objektiver Geister
verstanden, sondern gehen von lebenden Menschen aus. Das Medium gilt nicht
als Vermittler, sondern die Ursache der Erscheinungen. 2. PsychologischWas wir Geist nennen,
ist eine Funktion des Nervensystems. Leben, Bewusstsein, Wahrnehmung,
Gedächtnis, Denken, Verstand, Gefühl, Instinkt, Intelligenz, Wille sind ohne
Körper nicht denkbar; wenn wir sterben, erlöschen diese Funktionen wie eine
Kerze, die ausgeht. Der Verstorbene hat kein Bewusstsein und keinen Willen
mehr. 3. MetaphysischWas den Tod überdauert,
sind nicht diese Funktionen, sondern ist der Kern der Persönlichkeit,
zusammengefasst in seinem Namen. In der fernöstlichen
Geisteswelt scheint man sich die "Seele" ähnlich vorzustellen, die nach dem
Tod in einem neuen Körper reinkarniert wird: Der Sterbende vererbt sein
"Karma" (Schuld und Verdienste) an einen, der künftig geboren wird. Nicht
die individuelle Persönlichkeit mit unverwechselbarer Gestalt und Charakter
wird reinkarniert, sondern sein Schuld- und Verdienstkonto, welches das
Schicksal eines künftigen Menschen bestimmt. Steht das Konto am Ende eines
Lebens auf Null, so gibt's nichts mehr zu vererben, das Konto wird gelöscht,
die "Seele" erlischt und geht ins Nirwana ein. 4. NeuplatonistischEs lässt sich eine Stufenleiter von toter Materie bis zum absoluten Geist = Gott aufstellen, die im technischen Bereich eine Entsprechung hat:
Die Übergänge erscheinen auf den ersten Blick nicht fließend, sondern sprunghaft. Man muss aber genauer differenzieren. So gibt es ja große Unterschiede z.B. zwischen den geistigen Fähigkeiten einer Amöbe und eines Schimpansen. Der Entwicklungssprung erfolgt auch nicht vom Tier zum Menschen, sondern von der Wahrnehmung zum Bewusstsein, vom Trieb zum Willen, vom Gedächtnis zum Wissen, vom Denken zum Verstand, von der Erkenntnis zur Intelligenz. 5. Informationshypothesea) Geist = InformationGeist besteht nicht aus physikalisch nachweisbaren Elementarteilchen; sein Wesen ist nicht Materie oder Energie, sondern Information. Geist lässt sich theoretisch reduzieren auf die kleinste, binäre Informations-Einheit einer Ja-Nein- Entscheidung (1 BIT). Was Geist ist, lässt sich also ansatzweise verstehen anhand des Computers:
Verstand, Wissen, Bewusstsein und Wille lassen sich genauso auf diese einfachen Funktionen zurückführen wie Potenzierung und Multiplikation auf Addition oder Lesen auf Buchstabieren. b) Lebender Geist funktioniert anders als ein ComputerTatsächlich scheint
aber lebender Geist anders zu funktionieren als ein Computer: i. LogikUnserem heutigem logischen Denken scheint mindestes ein Dreiersystem zugrunde zu liegen (ja, nein, sowohl/als auch). ii. NervenzellenDie Nervenzelle hat mit
ihren vielen Dendriten viel mehr Kombinationsmöglichkeiten als ein
elektronischer Transistor, der nur zwei Zustände kennt: "an" oder "aus". Sie
reagiert auch nicht auf An / Aus, sondern auf eine gewisse Impulsstärke und
kann unterschiedlich starke Impulse erkennen und darauf reagieren. Die
Nervenzelle arbeitet also mit Bruchteilen von BITs (Ja – vielleicht –
unentschieden – kaum – nein) c) Information in primitiven physischen StrukturenInformation finden wir nicht nur im Gehirn oder Computer, auch nicht nur in "externen Speichern" wie Büchern, sondern schon in den primitivsten physischen Strukturen:
Sämtliche Eigenschaften
eines Lebewesens sind in seinem Zellkern gespeichert. Jede Zelle "kennt"
nicht nur ihre besondere Aufgabe (z.B. "Ich bin eine Haut- oder
Muskelzelle"), sondern auch ihren Platz im Organismus, da ihr Zellkern ja
den gesamten Bauplan enthält, nicht nur die besondere Bauanweisung für die
Zelle. Ähnlich wie das Sauerstoff- und Kohlenstoffatom enthält auch jede Ei-
und Samenzelle die halbe Information für ein ganzes Individuum. II. Absoluter GeistNaturgesetze, Mathematik, Musik, Evolution lassen auf eine höhere Intelligenz schließen, die offenbar nicht an ein bestimmte materielle Substanz gebunden ist, wohl aber an die Struktur der Materie überhaupt. 1. Beispiele:a) NaturgesetzeSie sind offensichtlich unabhängig von unserem Bewusstsein und gelten, seitdem die Welt besteht. Sie sind aber abhängig von der Materie und ohne Materie nicht vorstellbar. b) GeometrieIn der außermenschlichen Natur gibt es zwar viele Andeutungen von Kreisen, aber keinen vollkommenen Kreis. Der ist erst möglich geworden durch den von Menschen erfundenen Zirkel. Es gibt (außer vielleicht bei einigen Kristallen) auch keine Quadrate. Trotzdem muss es die Ideen "Kreis" und "Quadrat" schon vor dem Menschen gegeben haben, sonst wären diese Figuren nicht zu zeichnen. Das wird deutlich an dem unlösbaren Problem der Quadratur des Kreises: Es ist unmöglich, mit Hilfe von Zirkel und Lineal einen Kreis in ein gleichgroßes Quadrat umzuwandeln. Wir können zwar die Idee "Quadratur" denken; aber sie ist in der materiellen Welt nicht begründet, daher nichtig und falsch. c) MusikDie Vögel haben unabhängig von den Menschen die Musik entdeckt. Der Gesang der Nachtigall gehorcht denselben Gesetzmäßigkeiten wie unsere Musik. Also sind diese Gesetzmäßigkeiten unabhängig von menschlichen oder vöglischen Gehirnen oder Überlieferungen, wohl aber an materielle Strukturen gebunden. Im luftleeren Raum kann es keine Musik geben. d) BiologieInfolge einer Klimaveränderung wich der tropische Regenwald der Savanne. Die Urgiraffe mit kurzem Hals konnte sich nicht mehr wie gewohnt von tief hängenden Blättern ernähren und brauchte einen langen Hals. Die heutige Giraffe hat diesen langen Hals. Die Fähigkeit, auf Herausforderungen zu reagieren und sich an veränderte Bedingungen anzupassen nennen wir Intelligenz. Die Entwicklung vom Okapi zur Giraffe zeigt intelligentes Verhalten. Aber wo hat diese Intelligenz ihren Sitz? 2. Das Weltganze als Superhirn?Geist ist der
Definition nach immateriell. Aber kann es eine immaterielle Welt unabhängig
von der materiellen geben? Nach allem oben Beobachteten ist denkbar, dass
sämtliche Informationen, Naturgesetze usw. in einer Art "Superhirn"
gespeichert sind und dort verarbeitet werden.
Also können Gott und Geist nicht identisch sein. Es ist aber denkbar, dass der Schöpfer in der materiellen Welt sich selbst verwirklichen wollte, so wie der Mensch seinen Geist in einer elektronischen Maschine zu verwirklichen sucht. |
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Seele | Begriffe: Psychologie Sprachecke 15.04.2008 | 16.08.2011 16.08.2011 | 03.11.2015 | 04.04.2017 |
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Datum: 1994 / 2006 Aktuell: 09.02.2019 |