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Frau Holle als mythische Gestalt |
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Von der Dämonin zur individuellen Gestalt Von der Dämonin zur individuellen Gestalt |
1. Name
Holda, Holle, lat.
Hulda ist also kein Individualname, sondern
eine Gattungsbezeichnung: 'wohlwollende Dämonin'. "Frau Holde" deutet den Übergang von der Gattung zum Individuum an: Es handelt sich nicht mehr um einen namenlosen Geist unter vielen, sondern dieser Geist wird als Frau 'Herrin' herausgehoben. Damit wird Holde zu einem Eigennamen, was noch durch die Verschleifung zu Holle unterstrichen wird: "holde Frau" könnte man zu irgendjemand sagen, aber eine "Frau Holle" gibt's nur einmal. Sie ist zu einem Individuum geworden. 2. VerbreitungFrau Holle hat ihren Ursprung in Osthessen und Thüringen. 3. Charaktera. Ältester BelegDer älteste Beleg stammt von Burchard von Worms (1008 /12): »Credidisti, ut aliqua femina sit, quae hoc facere possit, quod quaedam a diabolo deceptae se affirmant necessario et e praecepto facere debere, id est cum daemonum turba in similitudiem mulierum transformata, quam vulgaris stultitia Huldam vocat, certis noctibus equitare debere super quasdam bestias, et in eorum se consortio annumeratam esse. [1] = Du hast geglaubt, dass es ein weibliches Wesen gibt, das vom Volk in seiner Dummheit Hulda genannt wird und das tun kann, was einige Frauen behaupten, die vom Teufel verführt sind: Sie müsste nämlich notwendig und auf Grund einer Vorschrift in gewissen Nächten mit einer Schar von Dämonen in Frauengestalt auf irgendwelchen Tieren reiten und gehört zu deren Gesellschaft.« Frau Holle ist also eine Dämonin, die im wütenden Heer reitet und mit dem Hexenritt in Verbindung gebracht wird. b. Von der Dämonin zur individuellen GestaltVon Frau Holle gibt es eine Anzahl Ortssagen, wie sie Menschen geholfen oder ihnen geschadet hat. Sie haust in einem Berg, verlockt leichtfertige Männer und zieht in den kältesten Nächten des Jahres als Gespenst mit dem wütenden Heer. Sie lässt es schneien und belohnt die fleißigen Mägde und bestraft die faulen. Sie badet auf dem Meißner in einem Teich und führt Reisende in die Irre. Aus einem Teich bringt sie Kinder und nimmt auch welche wieder mit. [2] In der Gestalt von Frau Holle sind also mehrere Motive des Volksglaubens zusammengeflossen: Naturgeist, Quellgöttin, dämonische Verführerin, Gespenst im Wütenden Heer, weiblicher Rübezahl und Weihnachtsmann, Fee und Klapperstorch. Der Volksglaube kennt eine Anzahl von Mythen und Erscheinungen, die in unterschiedlicher Zusammensetzung der einen oder der anderen Gestalt zugeschrieben werden. In Hessen und Thüringen werden sie unter dem Namen Frau Holle zusammengefasst. Frühere Forscher haben versucht, die Spuren des Volksglaubens in die vorchristliche Zeit zurückzuverfolgen, und manche tun es noch heute. Dabei wird übersehen, dass mythisches und magisches Denken dem Menschen angeboren ist, daher bilden sich Mythen und "Aberglaube" immer wieder neu, wie am Beispiel vom Klapperstorch und Weihnachtsmann zu sehen. Von Frau Holle werden also Geschichten erzählt, die man auch von vorchristlichen Göttinnen erzählt hat. Nachfolgerin einer alten Göttin ist sie nicht.
d. Frau Holle und VenusBemerkenswert ist, dass Bechstein [2] Frau Holle mit der verführerischen Venus aus der Tannhäusersage gleichsetzt, obwohl sie eigentlich ja nur ein Gespenst bzw. eine alte Frau "mit langen Zähnen" ist. Das erinnert an das antike Märchen von Amor und Psyche, wo Venus die Rolle der Schwiegermutter spielt, die die Heldin mit Arbeiten überhäuft, die eigentlich unmöglich sind. In dieser Gleichsetzung von Frau Holle mit Venus lebt nicht etwa die antike Göttin weiter, sondern es handelt sich um eine mittelalterliche Neubildung, eine Verkörperung der Gefahr, sich wie Tannhäuser von der Lust gefangen nehmen zu lassen und darüber die alltäglichen Pflichten zu vernachlässigen. d. Frau Holle und DianaEbenso wenig lebt in Frau Holle die antike Natur- und Jagdgöttin Diana weiter. Wenn man sie mit Diana vergleicht, liegt das an der Wilden Jagd, an der Frau Holle wie andere Gespenster teilnimmt. Die antike Jagdgöttin schien der mittelalterlichen gelehrten Deutung die passende Patronin zu sein. e. Weiterleben der "klassischen Götter"Es ist zu beachten, dass man mit der antiken Kultur ja auch die Kenntnis der klassischen Religion weitergab, auch wenn man nicht mehr an die alten Götter glaubte. Es finden sich also seit dem Mittelalter immer wieder die alten Namen und Geschichten und seit der Renaissance auch die alten Bilder. Die alten Götter haben hier nicht im Volksglauben weitergelebt, sondern sie wurden von den Gebildeten als literarische Gestalten oder Kunstwerke weitertradiert. |
[1] Grimm, Deutsche Mythologie 1,221 |
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Sprachecke 08.01.2008 |
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Datum: 2006 Aktuell: 09.02.2019 |